17. Prozess-Schritt: Konzeption von Maßnahmen
Ganz besonders wichtig ist die Beteiligung der Beschäftigten! Als ExpertInnen für die täglich verrichtete Arbeit können sie oft sehr passgenaue, eben praxisgerechte Vorschläge für geeignete Arbeitsschutz-Maßnahmen machen. In diesem Prozess-Schritt liegt eine der Gelenkstellen des erfolgreichen Arbeitsschutzes: Ohne Beteiligung der Betroffenen haben später durchgeführte Arbeitsschutz-Maßnahmen deutlich weniger Aussicht auf Erfolg! Denn Beschäftigte sind nicht allein Auskunftspersonen und Ideen-GeberInnen, sondern auch diejenigen, die die Arbeitsschutz-Maßnahmen im Arbeitsalltag umsetzen werden. Beschäftigte nicht bei der Konzeption von Maßnahmen zu beteiligen führt nicht selten zu jenen sprichwörtlichen "Lösungen am grünen Tisch", die dann in der Praxis nicht funktionieren.
Oft werden zu diesem Zeitpunkt im Prozess bereits Ideen für geeignete Arbeitsschutz-Maßnahmen aus Grob- und Feinanalyse mit Beteiligung der Beschäftigten vorliegen, eventuell gibt es auch weitere Quellen für Lösungsideen wie etwa das Betriebliche Vorschlagswesen. Diese Ideen gilt es nun strukturiert zusammen zu bringen und nötigenfalls zu ergänzen. Gab es noch keine Workshop für Lösungsideen, so müssen diese nun erfolgen.
Die konkreten Aktivitäten in diesem Prozess-Schritt hängen also stark davon ab, was im konkreten betrieblichen Prozess der Gefährdungsbeurteilung bis dahin erfolgt ist!
Im eher "klassischen" Arbeitsschutz liegen bereits eine Fülle fachlicher Vorgaben und Anleitungen (z. B. zur Einhaltung festgelegter Grenzwerte für Lärm) vor, so dass das Entwickeln geeigneter Maßnahmen hier oft in der Anpassung vorhandener Lösungen an die betrieblichen Gegebenheiten besteht. In der Regel ist dies die Aufgabe der Fachkraft für Arbeitssicherheit.
Konzeption bzw. Ableitung von Maßnahmen bedeutet jedoch nicht allein die Entwicklung („Findung“) geeigneter Arbeitsschutz-Maßnahmen. Oftmals werden gerade bei psychisch wirkenden Belastungen mehrere Lösungsideen vorhanden sein, die auf den ersten Blick gleichermaßen geeignet scheinen. Es ist also auch notwendig, Kriterien für die Auswahl aus mehreren potenziellen Arbeitsschutz-Maßnahmen zu entwickeln! Dabei ist zu beachten, dass vermeintlich schnelle oder einfache Lösungen möglicherweise gar nicht geeignet sind, vorhandene Gefährdungen nachhaltig zu eleminieren bzw. deutlich zu minimieren - weil sie zwar schnell und einfach sind, aber nicht wirksam. Nicht zu vergessen sind in diesem Zusammenhang auch emotionale Aspekte: Ohne vorherige Festlegung von Auswahlkriterien kann z. B. das Maß der Betroffenheit oder Überraschtheit handlungsleitend dafür sein, was und vor allem: was als Erstes angegangen wird. Dies muss aber nicht zwangsläufig mit dem übereinstimmen, wo die größeren Gefährdungen (Grad der Gefährlichkeit, Anzahl der gefährdeten Beschäftigten) bestehen.
Es lohnt also, sich für den Schritt der Konzeption bzw. Ableitung von Maßnahmen ausreichend Zeit zuzugestehen, weil andernfalls die Gefahr besteht, dass gar nicht die gewünschten Ergebnisse erreicht werden oder es im laufenden Tun zu mehrfachen Abänderungen kommt.
Generell ist für alle gewählten Maßnahmen ist vorgeschrieben, dass dabei "der Stand von Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene sowie gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen [sind]" (ArbSchG § 4,3). Aus den grundlegenden Vereinbarungen mit dem Arbeitgeber (siehe dazu Prozess-Schritt 6) oder den Überlegungen des Steuerungskreises (siehe dazu Prozess-Schritt 7) gibt es möglicherweise bereits weitere Kriterien für die Konzeption (Findung und Auswahl) von Maßnahmen. Außerdem können Realisierbarkeit und Angemessenheit weitere Kriterien für das konkrete Vorgehen liefern:
Realisierbarkeit:
Im Zweifelsfall ist es besser, sich bereits im vornherein klar zu machen, dass die Ressourcen aller Beteiligten es u. U. nur zulassen, kleinere Maßnahmen durchzuführen, die dann Schritt für Schritt im weiteren Prozess des Arbeitschutzes erweitert werden. Eine solche Herangehensweise ist deutlich besser, als sich (aus späterer Sicht:) zuviel vorzunehmen, das dann in der realen Umsetzung versandet. Möglicherweise ergibt sich so ein Stufenplan der Maßnahmen - wogegen nichts spricht, sofern dies vor Beginn der Umsetzung festgelegt und auch kommuniziert wurde.
Angemessenheit:
Neben der fachlichen Perspektive (was ist aus Sicht des Arbeitsschutzes geeignet, bestimmte Gefährdungen abzustellen oder weitestgehend einzudämmen) ergibt sich die Angemessenheit vor allem aus der Betriebsnähe:
- Was kann wie in den laufenden Arbeitsprozessen integriert werden
- Was wird bei uns angenommen (auch eine Frage der Betriebskultur)
Eine solche konkrete Betriebsnähe ist ohne intensive Beteiligung der Beschäftigten nicht möglich.
Vorsicht!
Die angesprochene Auswahl bezieht sich lediglich auf die Wahl zwischen verschiedenen möglichen Arbeitsschutz-Maßnahmen - es besteht keine Auswahlmöglichkeit, ob Maßnahmen durchgeführt werden.
Der Arbeitgeber ist eindeutig in der Verantwortung beim Arbeitsschutz, hier in der Pflicht, Arbeitsschutz-Maßnahmen durchzuführen. Da Maßnahmen aber durchaus unterschiedlichen Umfang haben können, was ihren Bedarf an Ressourcen (Geld, Arbeitszeit etc.) anbelangt, macht es dennoch Sinn, vor Durchführung der Maßnahmen klare Absprachen über das Angestrebte und seine Umsetzung zu treffen sowie dies schriftlich festzuhalten.
Unklarheiten an dieser Stelle führen in der Praxis selbst bei besten Absichten aller Beteiligten häufig zum „Versanden“ oder Sich-Endlos-in-die-Länge-Ziehen von Projekten. An die Stelle eines gezielten Prozess-Managements tritt dann nicht selten der Wechsel von hektischer Aktivität mit Phasen des Liegenlassens.
Auswirkungen hat dies nicht nur auf den (Miss-) Erfolg der Maßnahmen, sondern auch auf die Menschen:
Beteiligung geht nicht häppchenweise nach dem „On-Off“-Prinzip! Mal gefragt zu werden und wichtige Ideen abzuliefern, um dann wieder „zurück gestellt“ zu werden, ist nicht allein nicht-wertschätzend, es führt auch zu fortlaufender Frustration und Demotivation mit den potentiellen Folgen abnehmender Kreativität und Veränderungsbereitschaft.
Ergebnisse:
Konkret durchführbare Arbeitsschutz-Maßnahmen sind gefunden worden, die geeignet erscheinen, die vorhandenen Gefährdungen abzustellen oder deutlich zu minimieren.
(Ob sie tatsächlich geeignet sind, kann erst die Wirksamkeitsprüfung nach der Durchführung zeigen.)
Materialien zum Prozess-Schritt (Auswahl)
IAG-Report 1/2013 (Überarb. 04.2015): Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen - Tipps zum Einstieg. Zur Ableitung von Maßnahmen: S. 33 - 36.