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zur Gefährdungsbeurteilung

Gut zu wissen: Rechtliche Regelungen zur Gefährdungsbeurteilung - Ein Überblick für Betriebs- und Personalräte

Für die schnelle Nutzung: Direkt zu den Regelungen im Einzelnen hier.

Überblick für die Mitbestimmung

Der Überblick zu den zentralen Regelungen zur Gefährdungsbeurteilung möchte Betriebs- und Personalräte bei ihren Aufgaben im Arbeits- und Gesundheitsschutz unterstützen:

  • Bei der Ausübung ihrer Mitbestimmungsrechte (Betriebsverfassungsgesetz § 87, Abs. 1, Nr. 7, sowie § 89, Abs. 2, und Bundespersonalvertretungsgesetz, § 75, Abs. 3, Nr. 11).
  • Bei der Ausübung ihres Wächteramtes (BetrVG, § 80, Abs. 1, sowie § 89, Abs. 1, und BPersVG, § 68, Abs. 1, sowie § 81, Abs. 1).
  • Mehr zur Mitbestimmung nach Betriebsverfassungsgesetz hier, nach Personalvertretungsrecht hier.

Die im Überblick genannten Regelungen sollten BR und PR kennen. Über die weiter unten folgenden Erläuterungen hinaus sind Qualifizierungen erforderlich, um bei dieser Verknüpfung von Recht, Arbeitswissenschaft und Technik verantwortungsvoll agieren zu können. Dafür haben BR und PR zusätzlich das Recht, externe Sachverständige hinzuziehen (Betriebsverfassungsgesetz, §§ 40 und 80 sowie Bundespersonalvertretungsgesetz, § 44) und können sich an die für ihren Betrieb bzw. für ihre Dienststelle zuständige Berufsgenossenschaft bzw. Unfallkasse wenden.

Diese externe Hilfen (Qualifizierungen, externe Sachverständige, BG bzw. UK) seien hier ausdrücklich empfohlen. In einzelnen Betrieben oder Dienststellen mag es aufgrund der Ausbildung der Mitglieder Fachkräfte für Arbeitssicherheit im BR oder PR geben. Die fachkundliche Ausbildung der Fachkraft für Arbeitssicherheit ist sehr umfangreich (siehe dazu u. a. DGUV Vorschrift 2, § 4, dazu Anhang 2) und muss aktuell gehalten werden. Ein entsprechend weitgehendes fachkundliches Wissen kann von Betriebs- und Personalräten nicht erwartet werden.

Regelungen zur Gefährdungsbeurteilung: Einordnung und Nutzen

Die zentrale Rechtsgrundlage für die Gefährdungsbeurteilung ist das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG). Dem folgt der Überblick und geht auf jene Regelungen ein, die dem untergeordnet sind, also direkt folgen. So sind die untersetzenden Verordnungen zum ArbSchG aufgeführt (gemäß Ermächtigung durch §§ 18 und 19 ArbSchG). Darüber hinaus ist zu beachten: Die Regelungen des ArbSchG gelten stets: Auch dann, wenn eine Verordnung etc. einzelne Regelungen nicht ausführt, und auch dann, wenn es zu einem bestimmten Aspekt noch keine Verordnung gibt.

Der Fokus auf das Arbeitsschutzgesetz bedeutet nicht, dass es nicht weitere Regelungen gibt, die im jeweils konkreten Fall heranzuziehen sind. Schutzvorschriften für die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten ergeben sich beispielsweise auch aus dem Arbeitszeitgesetz oder aus dem Gentechnik-Recht.

Rechtsgrundlage für die Gefährdungsbeurteilung ist ArbSchG, § 5: „Beurteilung der Arbeitsbedingungen“: Der Arbeitgeber muss beurteilen, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind – abhängig davon, welche Gefährdungen mit der Arbeit der Beschäftigten verbunden sind oder verbunden sein können (vgl. ArbSchG, § 5, Abs. 1). Auf der Grundlage dieses Schrittes werden also Arbeitsschutz-Maßnahmen abgeleitet und in der Folge durchgeführt. Die Beurteilung muss nach „Art der Tätigkeiten“ erfolgen (vgl. ArbSchG, § 5, Abs. 2), sie ist tätigkeitsabhängig. Tätigkeiten sind keinesfalls Berufstätigkeiten/Arbeitsfelder, sondern konkreter an Arbeitsaufgaben orientiert: z. B. Telefonieren, Schweißen, Kalkulation, Beratungsgespräch u. ä. Dabei können tätigkeitsspezifische Gefährdungen auftreten. ArbSchG, § 5, Abs. 3, nennt einen Beispielkatalog dafür, welche Ursachen solche Gefährdungen „insbesondere“ haben können.

Bereits die Gefährdungsbeurteilung selbst besteht also aus mehreren Schritten. Darüber hinaus ist sie Teil eines gesamten Systems des Handelns, um die Sicherheit und die Gesundheit der Beschäftigten zu gewährleisten und zu verbessern wie vom ArbSchG vorgeschrieben. Alle Paragraphen des Arbeitsschutzgesetzes wirken zusammen, in § 5 wirken mindestens § 3 (Wirksamkeit der Maßnahmen, Arbeitsschutzorganisation), § 4 (verpflichtende Grundsätze für Arbeitsschutz-Maßnahmen), § 6 (Dokumentation) und § 12 (Unterweisung) direkt hinein. Der Überblick konzentriert sich auf die Regelungen zur Gefährdungsbeurteilung selbst, verweist aber an mehreren Stellen auch auf die beschriebene systematische Verknüpfung beispielsweise mit der Unterweisung.

Die Regelungen zum Arbeitsschutzgesetz stehen in folgender Rechtshierarchie:

Staatliches Arbeitsschutzrecht und autonomes Arbeitsschutzrecht der Unfallversicherungsträger (Berufsgenossenschaften und Unfallkassen) setzen die Mindeststandards, Tarifverträge können weitergehende Regelungen enthalten. (Dabei sprechen die Vorschriften der Unfallversicherungsträger nicht von „Arbeitgeber“ und „Beschäftigten“, sondern von „Unternehmer“ und „Versicherten“.)

Generell gilt: Je weiter oben in der Pyramide, desto rechtsverbindlicher, je weiter unten, desto näher an der betrieblichen Praxis, mit Informationen für die betriebliche Umsetzung. So setzen beispielsweise DGUV Regeln kein eigenes Recht. Vielmehr bieten sie Konkretisierungen und Hilfestellungen (u. a. durch Beispiele) für die betriebliche Umsetzung der staatlichen Arbeitsschutzvorschriften und der Unfallverhütungsvorschriften.

Insgesamt muss man die Regelungen aller Ebenen als ‚Gesamtpaket‘ sehen. Denn tatsächlich sind die zwingend geltenden Vorschriften aus Gesetzen, Verordnungen und Unfallverhütungsvorschriften deutlich mehr mit der Praxis verzahnt, als es scheinen mag. Besonders deutlich wird dies, wenn es darum geht, welche Arbeitsschutz-Maßnahmen erforderlich sind (ArbSchG, § 3, Abs. 1). Dass Maßnahmen wirksam sein müssen, steht dabei außer Frage. Doch erst ein Vorher-Nachher-Vergleich zeigt, ob eine überprüft nachvollziehbare Verbesserung bezüglich Sicherheit und Gesundheit eingetreten ist.

Wie jedoch kommt der Arbeitgeber (oder die Fachkraft für Arbeitssicherheit in seinem Auftrag) überhaupt zu den jeweiligen Maßnahmen? Auf der Basis der Gefährdungsbeurteilung – doch auch dann sind unterschiedliche Maßnahmen möglich. Damit verbunden: Wie können Betriebs- und Personalräte über die Beteiligung der Beschäftigten hinausgehend einschätzen, ob die Maßnahmen geeignet sind und im Rahmen ihrer Mitgestaltung ggf. Verbesserungen vorschlagen (PR dann erst auf der Ebene der Durchführung)?

Dafür gibt bereits das Arbeitsschutzgesetz die grundlegende Antwort: Maßnahmen sind dann geeignet, wenn sie dem Anforderungskatalog von ArbSchG, § 4, der dem Arbeitgeber allgemeine Grundsätze vorschreibt, entsprechen.

In der betrieblichen Praxis führt dabei oft eine Anforderung zu Unklarheiten und Diskussionen: „bei den Maßnahmen sind der Stand der Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene und sonstige gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen“ (ArbSchG, § 4, Nr. 3): Was ist der jeweilige Stand, wann sind Erkenntnisse gesichert?

Hier greift nun die sog. Vermutungswirkung. Im engeren Sinn besagt sie: Setzt ein Arbeitgeber die Inhalte der Technischen Regeln um, so kann man davon ausgehen (vermuten), dass er die Anforderungen aus der entsprechenden Verordnung umgesetzt hat. Und damit das im ArbSchG und der untersetzenden Verordnung vorgeschriebene Schutzniveau erfüllt hat.

Tatsächlich geht diese Vermutungswirkung wesentlich weiter. Deutlich ausformuliert wird dies in der DGUV Regel 100-001 „Grundsätze der Prävention“, die Erläuterungen zu der Unfallverhütungsvorschrift DGUV Vorschrift 1 gleichen Titels enthält.

Laut dieser Vorschrift gehört zu den „Grundpflichten des Arbeitgebers“:

„Der Unternehmer hat bei den Maßnahmen nach Absatz 1 von den allgemeinen Grundsätzen nach § 4 Arbeitsschutzgesetz auszugehen und dabei vorrangig das staatliche Regelwerk sowie das Regelwerk der Unfallversicherungsträger heranzuziehen“ (DGUV Vorschrift 1, § 2, Abs. 2).

Unter expliziten Bezug auf ArbSchG, § 4, führt die DGUV Regel 100-001 dazu aus (aufgrund der hohen Wichtigkeit dieser Erläuterung folgt der ungekürzte Originaltext):

„Hilfen zum Erreichen von Schutzzielen
Staatliche Arbeitsschutzvorschriften und Unfallverhütungsvorschriften verpflichten den Unternehmer dazu, Maßnahmen zu ergreifen, mit denen ein bestimmtes Schutzziel erreicht werden soll, geben aber keine detaillierten Vorgaben für diese Maßnahmen. Als Hilfestellung zur sachgerechten Ausfüllung des ihm eröffneten Spielraums soll der Unternehmer Regeln heranziehen, die entweder von staatlich beauftragten Ausschüssen oder von den Fachbereichen der DGUV erstellt worden sind. Eine solche Unterstützungsfunktion für die Auswahl sachgerechter Präventionsmaßnahmen kommt den Regeln der Unfallversicherungsträger auch für den Fall zu, dass es für die Lösung einer bestimmten Gefährdungssituation (noch) keine staatlichen Arbeitsschutzvorschriften und keine speziellen Unfallverhütungsvorschriften, sondern nur die allgemeine Unternehmerpflicht nach Absatz 1 Satz 1 der DGUV Vorschrift 1 gibt.
   Mit dem Begriff „heranziehen“ wird klargestellt, dass der Unternehmer das Regelwerk bei der Planung seiner Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu berücksichtigen hat.
   Das Regelwerk gibt dem Unternehmer somit eine Orientierungshilfe, die ihm die Erfüllung seiner Pflichten im Arbeitsschutz erleichtert. Anders als eine Vorschrift muss er das Regelwerk im Einzelfall aber nicht zwingend befolgen. Er darf in eigener Verantwortung auch Maßnahmen auswählen, die er zur Erfüllung seiner Pflichten für geeignet hält und die den gleichen Stand der Sicherheit gewährleisten. Beachtet der Unternehmer die im Regelwerk aufgeführten Maßnahmen, kann er davon ausgehen, dass er damit geeignete Maßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren getroffen hat.“ (DGUV Regel 100-001, Kap. 1.2.1)

Orientiert sich der Arbeitgeber bei den Arbeitsschutz-Maßnahmen an den Gesetzen, Verordnungen und Technischen Regeln sowie außerdem an den Unfallverhütungsvorschriften und dem Regelwerk der DGUV (wozu Regeln, Informationen und Grundsätze gehören), dann kann er davon ausgehen (eben: vermuten), dass er geeignete Maßnahmen getroffen hat. Das ‚Gesamtpaket‘ in dem all diese Regelungen miteinander verzahnt sind, koppelt gesetzliche Vorgaben mit praktischen Vorschlägen für die betriebliche Praxis. Dies schließt im Übrigen nicht aus, aktuelle Forschungsergebnisse zu berücksichtigen. Es liefert lediglich die Basis dafür, was auf jeden Fall als „Stand“ und „gesichert“ zu gelten hat.

Für Betriebs- und Personalräte gilt diese Orientierung gleichermaßen. Sie haben damit eine Grundlage, die Einhaltung dieser Regelungen zu verlangen (Wächteramt), und die dortigen Ausführungen für die Mitgestaltung, auch bei der Ausübung von Initiativrechten, zu nutzen.

Autorin: Anna Wirth

Die Regelungen zur Gefährdungsbeurteilung im Einzelnen