ver.di-Online-Handlungshilfe
zur Gefährdungsbeurteilung

Corona

Gefährdungsbeurteilung und Arbeitsschutz-Maßnahmen bei Corona-Epidemie

Dieser Abschnitt wird nicht mehr gepflegt/aktualisiert, bleibt aber archiviert erhalten: a) Gelten grundlegende fachlich-gesetzliche Strukturen über die Corona-Epidemie hinaus, b) führen noch im Januar 2023 einzelne Links zu zu diesem Zeitpunkt wichtigen Informationen.

 

(Alle Links zu zentralen Informationsquellen zum Arbeitsschutz bei Corona am Ende des Artikels.)

Über Schutzkleidung bzw. Schutzausrüstung für Menschen in Pflege- und Laborberufen hört und liest man viel in diesen Tagen. Doch wie sieht die Situation für Beschäftigte in anderen Tätigkeitsfeldern aus? Was können bzw. sollten Betriebs- und Personalräte in der aktuellen Situation tun?

Trotz der momentan verschärften Lage ist zunächst festzuhalten: Es gilt, was stets gilt. So hat der Arbeitgeber eine unabdingbare Fürsorgepflicht, er muss die bei ihm arbeitenden Menschen vor Gefahren für Leben und Gesundheit bei der Arbeit schützen (vergleiche Bürgerliches Gesetzbuch, §§ 617 – 619).

Diese Fürsorgepflicht ist in mehreren Schutzvorschriften konkretisiert, zentral bei der Corona-Pandemie ist das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG): "Dieses Gesetz dient dazu, Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten zu sichern und zu verbessern" (ArbSchG § 1, Abs. 1). Alltäglich und so auch bei Corona.

Betriebs- und Personalräte wie auch Beschäftigte können sich auf der Seite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) "Antworten auf arbeitsrechtliche Fragen" gut und jeweils aktualisiert informieren. Direkt zu Gefährdungsbeurteilung und Arbeitsschutz-Maßnahmen heißt es dort (bitte auf der Seite runterscrollen):

"Welche Verpflichtungen haben Arbeitgeber zum Schutz der Arbeitnehmer? Fällt unter die Gefährdungsbeurteilung für seine Mitarbeiter*innen auch der Schutz vor ansteckenden Krankheiten?

[Antwort:] Der Arbeitgeber hat nach Arbeitsschutzgesetz grundsätzlich die Verpflichtung die Gefahren für die Sicherheit und Gesundheit für seine Beschäftigten am Arbeitsplatz zu beurteilen (sog. Gefährdungsbeurteilung) und Maßnahmen hieraus abzuleiten. Im Rahmen der Pandemieplanung (Bevölkerungsschutz) hat der Arbeitgeber ggf. weitere Maßnahmen zu ermitteln und durchzuführen. Konkrete Hinweise hierzu finden sich zum Beispiel im Nationalen Pandemieplan auf der Homepage des RKI.

Für den Arbeitsschutz gilt, wenn eine beschäftigte Person aufgrund ihrer Arbeit mit biologischen Arbeitsstoffen umgeht, ist die Biostoffverordnung anzuwenden (§ 4 BioStoffV). Biostoffe wie Viren, Bakterien etc. müssen in der Gefährdungsbeurteilung berücksichtigt werden. Aus den Gefährdungen muss der Arbeitgeber Schutzmaßnahmen für seine Beschäftigten ableiten und umsetzen. Die Maßnahmen können technisch und organisatorisch sein, wie etwa die Abtrennung der Arbeitsbereiche oder die Beschränkung der Mitarbeiterzahl. Bei entsprechender Gefährdung hat der Arbeitgeber außerdem persönliche Schutzausrüstung wie beispielsweise Schutzhandschuhe oder Atemschutz zur Verfügung zu stellen. Zu den Gefährdungen sind die Beschäftigten über eine Unterweisung allgemein sowie über eine arbeitsmedizinische Vorsorge individuell zu beraten. […]"

In erster Linie bezieht sich die Biostoffverordnung auf das Arbeiten mit Biostoffen (u. a. Viren), fokussiert also auf Tätigkeiten wie in der Pflege oder in Laboren (BioStoffV, § 2, Abs. 8, spricht hier von "gezielte[n] Tätigkeiten"). Leider wird dies oft falsch verstanden, als gelte diese Verordnung nur für bestimmte Berufsgruppen. Tatsächlich gehören zu den Tätigkeiten, auf die sich die BioStoffV bezieht, weitaus mehr:

"Tätigkeiten sind […] 2. die berufliche Arbeit mit Menschen, Tieren, Pflanzen, Produkten, Gegenständen oder Materialien, wenn aufgrund dieser Arbeiten Biostoffe auftreten oder freigesetzt werden und Beschäftigte damit in Kontakt kommen können" (BioStoffV, § 7)

In Verbindung mit dem Arbeitsschutzgesetz, demzufolge die Gefährdungsbeurteilung die "für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdungen" zu ermitteln und daraus Arbeitsschutz-Maßnahmen abzuleiten hat (vgl. § 5) bedeutet dies, dass entsprechende Schutzmaßnahmen für alle Beschäftigten, die Kontakt mit möglicherweise infizierten Menschen haben können, durchgeführt werden müssen. Dies gilt für die allermeisten Beschäftigten in den Dienstleistungsbranchen, ist das Arbeiten mit Menschen doch gerade dort zentral (Interaktionsarbeit).

Für BR und PR bedeutet dies: Langwierige Diskussionen mit dem Arbeitgeber verbieten sich. Bei dem Bedarf von Schutzmaßnahmen geht es nicht um die Frage, wie oft möglicherweise Kontakt zu eventuell Infizierten entstehen könnte. Vielmehr geht es darum, welche Tätigkeiten mit dem potentiellen Kontakt mit Biostoffen/mit Menschen einhergehen. Entsprechende Schutz-Maßnahmen bzw. Regelungen für alle Beschäftigten mit solchen Tätigkeiten hätten bereits seit 1996 getroffen werden müssen (vgl. ArbSchG, §§ 3, 4 und 5) und sind in der Corona-Pandemie umgehend umzusetzen.

Nun hilft es in der aktuellen Krise wenig, eine umfangreiche Gefährdungsbeurteilung durchzuführen und daraus Arbeitsschutz-Maßnahmen abzuleiten – einfach, weil es jetzt Lösungen braucht. Dafür lässt sich auf die Empfehlungen der Berufsgenossenschaften und Unfallkassen zurückgreifen, die praktisch durchführbare Maßnahmen vorstellen. Beispielhaft ist hier die Seite der BGHW zu nennen:

"Das Coronavirus: Empfehlungen zum Schutz der Beschäftigten im Handel und der Warenlogistik"

Betriebs- und Personalräte haben das Recht, sich direkt an die für ihren Betrieb/ihre Dienststelle zuständige Berufsgenossenschaft bzw. Unfallkasse zu wenden. Hier ist jedoch ein genauerer Blick auf die Rolle der Interessenvertretungen im betrieblichen Arbeitsschutz notwendig. Fachkundlich zuständig (und qualifiziert!) für die entsprechenden Arbeitsschutz-Maßnahmen sind die Fachkräfte für Arbeitssicherheit und die Betriebsärzt*innen. BR und PR benötigen für die Ausübung ihrer Mitbestimmungsrechte selbstverständlich auch fachkundliches Wissen – sind aber für die umfangreichen technischen und sonstigen Regelungen weder die Fachkräfte noch die Verantwortlichen. In der akut krisenhaften Corona-Pandemie hat deshalb das Wächteramt von BR und PR eine größere praktische Bedeutung:

"(1) Der Betriebsrat hat folgende allgemeine Aufgaben: 1. darüber zu wachen, dass die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze, Verordnungen, Unfallverhütungsvorschriften, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen durchgeführt werden" (Betriebsverfassungsgesetz, § 80)

"(1) Die Personalvertretung hat folgende allgemeine Aufgaben: […] 2. darüber zu wachen, daß die zugunsten der Beschäftigten geltenden Gesetze, Verordnungen, Tarifverträge, Dienstvereinbarungen und Verwaltungsanordnungen durchgeführt werden" (Bundespersonalvertretungsgesetz, § 68) und

"(1) Der Personalrat hat bei der Bekämpfung von Unfall- und Gesundheitsgefahren die für den Arbeitsschutz zuständigen Behörden, die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung und die übrigen in Betracht kommenden Stellen durch Anregung, Beratung und Auskunft zu unterstützen und sich für die Durchführung der Vorschriften über den Arbeitsschutz und die Unfallverhütung in der Dienststelle einzusetzen" (BPersVG § 81)

BR und PR haben ergo das Recht und die Pflicht, vom dafür verantwortlichen Arbeitgeber die (in der gegenwärtigen Situation:) sofortige Durchführung der fachlich erforderlichen Schutzmaßnahmen zu verlangen sowie deren Umsetzung zu kontrollieren. Dafür ist fachkundliches Grundwissen erforderlich, beispielsweise durch die Informationsseiten der Berufsgenossenschaften und Unfallkassen. Dazu gehört auch die Zusammenarbeit mit der Fachkraft für Arbeitssicherheit sowie der Betriebsärzt*in.

Diese Zusammenarbeit erfolgt im Regelfall im Arbeitsschutzausschuss (ASA), so Arbeitssicherheitsgesetz, § 11. In der aktuellen Situation ist zu betonen: Die Ausübung des Wächteramtes von Betriebs- und Personalrat ist nicht abhängig davon, wann oder ggf. ob überhaupt eine ASA-Sitzung stattfindet.

Eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit aller betrieblichen Arbeitsschutz-Akteure im ASA oder in weiteren Gremien wie beispielsweise Gesundheitszirkeln ist für die sichere und gesunde Arbeitsgestaltung generell notwendig und sinnvoll – in der Corona-Pandemie gilt dies verstärkt. Hier ist auf den oben erwähnten Beitrag des BMAS und die dort erwähnte "Pandemieplanung" zurückzuverweisen. Auch diese sollte schon längst in den Betrieben und Dienststellen vorliegen, "sowieso", unabhängig von Corona. Und: So bereits vorhanden, ist eine Pandemieplanung für das aktuelle Handeln sehr unterstützend, auch, weil sie über einzelne Schutzmaßnahmen deutlich hinausgeht. Wer sich hier einführend informieren möchte, ob nun BR, PR oder ASA, dem sei die Broschüre "10 Tipps für die betriebliche Pandemieplanung" der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) empfohlen.

Informationsangebote zum Arbeitsschutz in der Corona-Pandemie, die besonders für Betriebs- und Personalräte hilfreich sind:

  • Fachliche betriebsbezogene Informationen erhält man bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), hier sind besonders die "Aktuelle[n] Informationen zum Coronavirus SARS-CoV-2" hervorzuheben. Dort gelangt man auch zu Antworten auf häufig gestellte Fragen (FAQ). Spezielle Informationen zu Tätigkeiten im Gesundheitswesen und in Laboren findet man bei der BAuA hier.
  • Wichtige Informationen zum betrieblichen Umgang mit Corona erhält man wie erwähnt außerdem auf den branchenspezifischen Internetseiten aller Berufsgenossenschaften und Unfallkassen (Zugang hier, bitte runterscrollen), sowie bei deren Dachverband DGUV. Dort auch Tipps zur betrieblichen Pandemieplanung.
  • Umfangreiche Informationen bietet auch ver.di, hier zu Arbeitsrecht und Datenschutz, beispielsweise als " FAQs rund um Corona". Über www.verdi.de gelangt man darüber hinaus zu den einzelnen Fachbereichen bzw. -gruppen und deren Empfehlungen (dafür auf der verdi-Startseite auf der oberen Leiste auf "Branchen" klicken).
    Viele Informationen und Tipps zum Arbeitsschutz erhält man beim Ressort Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, besonders in mehreren (jeweils aktuellen) Ausgaben der sopoaktuell. So unter anderem in Nr. 318 zu 3G am Arbeitsplatz oder in Nr. 316 zur SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung und ihrer betrieblichen Umsetzung. Dazu auch die ältere Nr. 307, diese enthält außerdem weiterführende Links, so zum ver.di-Praxisleitfaden und zu Infos für Interessenvertretungen bezüglich der verschiedenen Arten von Masken.
    Außerdem gibt das ver.di-Resort Tipps für besonders betroffene Personengruppen, hier als Antworten auf häufige Fragen für Schwerbehindertenvertretungen. Für Beschäftigte besonders wichtig: Wie damit umgehen, wenn sie an Covid-19 erkranken. Tipps dazu, auch zu den wichtigen Meldepflichten, die weitreichende Folgen für den Versicherungsschutz haben, bietet ver.di hier. Diese und weitere (jeweils aktuelle) Nachrichten findet man hier.
  • Unterstützend für die Praxis sind außerdem die Informationen des Deutschen Gewerkschaftsbundes "Corona: 10 Maßnahmen zum Arbeitsschutz im Betrieb. Was Betriebsrat, Arbeitgeber und Beschäftigte jetzt tun müssen".
  • Alle zitierten Gesetze und Verordnungen über www.gesetze-im-internet.de

Autorinnen: Anna Wirth, Anke Thorein

 

SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel (seit 25.05.2022 außer Kraft), Zugang über die Seite der BAuA: hier

„Die neue SARS-CoV-2 Arbeitsschutzregel wurde unter Koordination der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) gemeinsam von den Arbeitsschutzausschüssen beim Bundesarbeitsministerium erstellt“ (alle Zitate aus der Arbeitsschutzregel gemäß der Publikation auf der Internetseite der BAUA, hier zitiert aus der Vorbemerkung). Sie trat am 20.08.20 in Kraft und gilt zeitlich befristet auf "den gemäß § 5 Infektionsschutzgesetz festgestellten Zeitraum der epidemischen Lage von nationaler Tragweite".

Abschnitt 3 dieser Arbeitsschutzregel enthält die Bestimmungen zur Gefährdungsbeurteilung, der umfangreiche Abschnitt 4 Bestimmungen zu den Maßnahmen. Im Anhang sind darüber hinaus gehende Bestimmungen z. B. für Arbeiten auf Baustellen oder im ÖPNV aufgeführt.

Der Arbeitgeber muss die vorhandene Gefährdungsbeurteilung sowie die festgelegten (bisherigen) Arbeitsschutzmaßnahmen hinsichtlich "zusätzlich erforderlicher Maßnahmen des betrieblichen Infektionsschutzes" überprüfen und je nach dem Resultat dieser Überprüfung anpassen bzw. ergänzen (Abschnitt 3.1). Dabei geht es nicht allein um Regelungen wie etwa bezüglich Abständen und Handhygiene, sondern auch explizit um "die aufgrund der epidemischen Lage zusätzlich zu betrachtenden psychischen Belastungsfaktoren" (3.3), die sich u. a. aus geänderten Arbeitsabläufen, auch Arbeiten im Homeoffice, ergeben können.

Der Arbeitgeber soll bei dieser Überprüfung und Aktualisierung der Gefährdungsbeurteilung sowie bei der Maßnahmen-Ableitung die Fachkraft für Arbeitssicherheit, den/die Betriebsärzt*in sowie die Beschäftigtenvertretung einbeziehen, sofern letztere nicht vorhanden ist, unter Einbeziehung der Beschäftigten (3.2).

Bei "Tätigkeiten mit besonderem SARS-CoV-2-Infektionsrisiko", beispielsweise bei berufsbedingtem unmittelbaren Kontakt zu infektionsverdächtigen Personen, "gelten die einschlägigen Regelungen zur Gefährdungsbeurteilung gemäß BioStoffV und den TRBA" (3.5). [Mehr dazu unter BioStoffV und unter TRBA.]

Abschnitt 4 "Schutzmaßnahmen" der Arbeitsschutzregel konkretisiert detailliert und umfangreich die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandards des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (siehe Vorbemerkung zum Abschnitt). Der Arbeitgeber hat sich daran zu halten, wählt er andere als die vorgeschlagenen Lösungen "muss er damit mindestens die gleiche Sicherheit und den gleichen Gesundheitsschutz für die Beschäftigten erreichen" (Vorbemerkung zur SARS-CoV-2 Arbeitsschutzregel). Die Arbeitsschutzregel selbst liefert damit Vorgaben für die betrieblichen Arbeitsschutz-Maßnahmen während der Pandemie; zusätzlich wird auf die branchenspezifischen Konkretisierungen der Unfallversicherungsträger, also der Berufsgenossenschaften und Unfallkassen, verwiesen (3.1).

Autorin: Anna Wirth