ver.di-Online-Handlungshilfe
zur Gefährdungsbeurteilung

Gewalt bei der Arbeit! Besondere Gefährdung für Beschäftigte, die mit Menschen arbeiten

Immer mehr Beschäftigte in den Dienstleistungsbranchen erfahren Gewalt am Arbeitsplatz: Ob in der Pflege, bei Feuerwehr und Rettungsdienst oder in Ämtern und Behörden. Besonders betroffen sind Beschäftigte, die Interaktionsarbeit leisten – also mit KundInnen, PatientInnen, BürgerInnen etc. arbeiten.

Gewalt durch Dritte ist bei Interaktionsarbeit direkt mit der Arbeitstätigkeit verbunden. Gewalt ist von daher ein tätigkeitsabhängiger Gefährdungsfaktor, wie er durch die Gefährdungsbeurteilung nach Arbeitsschutzgesetz, § 5, aufgedeckt und durch Arbeitsschutz-Maßnahmen abgestellt oder weitestgehend miniminiert werden muss.

Die Spannweite des Gefährdungsfaktors Gewalt reicht von verbalen Attacken wie Beleidigungen bis hin zu tätlichen Übergriffen. Besteht über diese Bandbreite keine Klarheit, ergeben sich in der betrieblichen Praxis zwei mögliche Stolpersteine:

  1. Ohne ein klares Verständnis darüber, was alles zum Gefährdungsfaktor Gewalt gehört, besteht die Gefahr, dass nicht entsprechende Fragen in der Gefährdungsbeurteilung gestellt werden. Ohne die Aufdeckung eines vorhandenen Gefährdungsfaktors können auch keine dagegen wirksamen Arbeitsschutz-Maßnahmen entwickelt und durchgeführt werden.
  2. Wenn einzelne, besonders verbale Gewaltakte bagatellisiert werden, beschämt dies die Opfer erneut. In einer Gefährdungsbeurteilung mit Beteiligung der Beschäftigten muss also darauf geachtet werden, dass alle Betroffenen zu Wort kommen und ernst genommen werden.

Da auch verbale Handlungs- und Verhaltensweisen zum Gefährdungsfaktor Gewalt gehören, muss für sein Auftreten keine räumliche Nähe bei der Interaktionsarbeit gegeben sein. So können beispielsweise KundenbetreuerInnen in Call-Centern von Gewalt betroffen sein. Zur Gewalt bei Interaktionsarbeit gehören auch sexuelle Belästigung und Gewalt – sofern dies von Dritten, eben KundInnen, PatientInnen etc. ausgeht.

Ein klares Verständnis darüber, was alles zum Gefährdungsfaktor Gewalt gehört, ist folglich eine wichtige Voraussetzung für die betriebliche Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung mit Arbeits­schutz-Maßnahmen. Dies gilt für die Kommunikation aller betrieblichen Akteure des Arbeits- und Gesundheitsschutzes und beginnt im Betriebs- und Personalrat selbst. Sensibilisierung und Infor­mation sind wesentliche Bausteine einer beteiligungsorientierten Gefährdungsbeurteilung – auch und besonders bei Interaktionsarbeit.

Traumatische Ereignisse können ebenfalls von Dritten ausgehen, etwa bei Raubüberfällen im Einzelhandel. Berufsbedingte Konfrontationen mit traumatischen Ereignissen können jedoch in allen Berufen vorkommen. Tätigkeitsspezifisch ist deshalb allein eine höhere Wahrscheinlichkeit für solche Konfrontationen in bestimmten Dienstleistungsberufen mit Interaktionsarbeit. Von Konfrontationen mit Leichen oder verstümmelten Personen sind Beschäftigte bei der Feuerwehr, im Rettungsdienst oder in der Pflege deutlich häufiger betroffen als etwa Beschäftigte in der Versicherungsbranche. Die aus Gefährdungsbeurteilungen abgeleiteten Arbeitsschutz-Maßnahmen müssen auch bei traumatischen Ereignissen verhindern, dass die physische und psychische Gesundheit der Beschäftigten in Gefahr ist.

In Betriebs- und Dienstvereinbarungen sollte also in Leitlinien geregelt werden, was konkret als Gewalt (und als traumatische Ereignisse) bei der jeweiligen Interaktionsaktionsarbeit angesehen wird. Ausgangspunkt der Gefährdungsbeurteilung sind dabei wie stets die konkreten Tätigkeiten der Beschäftigten. Ihre Beteiligung ist unabdingbar, um sowohl alle Gefährdungen zu erkennen, als auch um in der Praxis wirksame Arbeitsschutz-Maßnahmen zu finden.

Als Grundlage für das konkrete Verständnis von Gewalt bei der Interaktionsarbeit z. B. in Betriebs- und Dienstvereinbarungen wird vorgeschlagen:

Gewalt bei Interaktionsarbeit ist ein tätigkeitsabhängiger, mit der Interaktionsarbeit verbundener Gefährdungsfaktor. Sie kann bei Interaktionsarbeit mit oder ohne räumliche Nähe erfolgen, also beispielsweise sowohl bei der Pflege, als auch bei der Kundenbetreuung in einem Call-Center.

Gewalt bei Interaktionsarbeit umfasst auf den Körper und/oder die Psyche der Beschäftigten wirkende Handlungs- und Verhaltensweisen, die auch allein verbaler Natur sein können. Diese Handlungs- und Verhaltensweisen können die Beschäftigten beleidigen, beschimpfen, bedrohen, verletzten, verwunden oder töten.

Gewalt als tätigkeitsspezifischer Gefährdungsfaktor geht von Dritten aus, also von den KundInnen, PatientInnen, KlientInnen etc. Diese Gewalt stellt eine Gefährdung für die Sicherheit (das Leben), die Gesundheit und/oder das Wohlergehen der Beschäftigten mit Interaktionsarbeit dar.

Autorin: Anna Wirth

Weiteres zum Gefährdungsfaktor Gewalt bei Interaktionsarbeit, sowohl zu den Basics bei der betrieblichen Umsetzung, als auch zu Quellen und Grundlagen, ist hier zu finden.

Gewalt bei der Arbeit nimmt gerade in Dienstleistungsberufen eklatant zu. Belege dafür gibt es aus nahezu allen Organisationsbereichen von ver.di. Um Beispiele zu nennen: